Das Forum Veranstaltungswirtschaft hat sich mit einem dringenden Appell an die Bundesregierung, Ministerpräsidenten der Länder, Ministerien von Bund und Ländern, Ausschüsse des Deutschen Bundestages, Bundestagsabgeordnete sowie die Medien gewandt: Die Allianz fordert von der Bundesregierung, ihre Zusage aus dem Koalitionsvertrag einzuhalten und keine Veränderung beim Funkspektrum für Kultur und Rundfunk bei der kommenden Weltfunkkonferenz zuzulassen. Ein anderes Votum als „No change“ hätte tiefgreifende negative Folgen für die gesamte Veranstaltungswirtschaft und Kultur- und Medienlandschaft in Deutschland.
Bei der Weltfunkkonferenz in Dubai im Herbst 2023 wird über die Zukunft des Frequenzbandes zwischen 470 und 694 MHz in der Region 1 (Europa, Afrika, Russland, arabische Staaten) entschieden. Dieses Frequenzband nutzen Kultur, Rundfunk und Fernsehen ebenso wie Kongresse, Kirchen, Sport, Filmproduktionen und weitere Veranstaltungen.
Aktuelle Nachrichten aus dem Kanzleramt machen in diesem Zusammenhang der Messe- und Veranstaltungswirtschaft und den Rundfunk- und Fernsehanstalten große Sorgen: Danach besteht die Gefahr, dass dieses Frequenzband, was zuletzt schon zweimal eingeschränkt wurde, in Teilen an mobile Breitbanddienste übertragen wird. Eine solche Entscheidung hätte für die Messe- und Veranstaltungswirtschaft von Kultur über Kongress bis Kirche und Sport ungeheure negative wirtschaftliche und operative Auswirkungen.
„Wir haben uns bei diesem Thema für einen ‚Offenen Brief‘ an Politik und Medien entschieden, weil vielleicht nicht jedem klar ist, wie immens negativ die Konsequenzen für die betroffenen Bereiche wären“, sagt Sabina Linke, Geschäftsführerin des EVVC Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren. „Es mag in Dubai nur eine kleine wirtschaftspolitische Umjustierung sein – für ganz Veranstaltungsdeutschland und letztlich auch Europa wäre es eine elementare Veränderung.“
„Für den Rundfunk, die Kultur und die Veranstaltungs- und Messewirtschaft geht es bei der kommenden Weltfunkkonferenz um alles“, sagt Johannes Everke, Geschäftsführer des BDKV Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft. „Dabei waren die Voraussetzungen eigentlich gut: Wie im aktuellen Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP festgehalten ist, sollen die Frequenzen zwischen 470 und 694 MHz langfristig für Kultur und Rundfunk geschützt werden – und zwar auch für den Zeitraum nach dem Jahr 2030. Dies wird von den meisten europäischen Ländern, darunter Frankreich, Italien, Spanien oder Großbritannien, geteilt und läuft unter dem Titel ‚No change‘.“
Wichtige Funkfrequenzen gehen vielleicht verloren. „Sollte die Bundesregierung nun aber vom Koalitionsvertrag abweichen, für den Vorschlag ‚ko-primär‘ votieren und Frequenzen für ein neues, fünftes Mobilfunknetz freimachen, würden uns die Frequenzen verloren gehen, mit denen wir millionenfach Mikrofone und Kameras, Konferenz- und Sicherheitstechnik oder Kommunikationstechnik wie den berühmten ‚Knopf im Ohr‘ betreiben und terrestrisch TV und Radio störungsfrei senden“, ergänzt Linda Residovic, Geschäftsführerin des VPLT Verband für Medien- und Veranstaltungstechnik.
Hiervon betroffen sind tatsächlich Veranstaltungen in der gesamten Bandbreite: Nur mit dieser Funktechnologie können Events vom Parteitag über Gewerkschaftsveranstaltungen, vom Firmenjubiläum bis zum internationalen Ärztekongress, vom Gottesdienst bis zur Gala oder Musical-Aufführung auf dem heutigen Stand der Erwartungen und Möglichkeiten stattfinden, Sportereignisse von Bundesliga bis EM produziert und übertragen werden oder Menschen im Auto überall ihr Morgenradio hören. Insbesondere Bluetooth, WiFi oder LTE können diese Lücke nicht füllen.
„Dabei haben die letzten Einschränkungen unserer Frequenzen schon Spuren hinterlassen“, sagt Marcus Pohl, 1. Vorsitzender des ISDV Interessengemeinschaft der selbständigen Dienstleisterinnen und Dienstleister in der Veranstaltungswirtschaft. „Bereits heute können zum Beispiel der Friedrichstadtpalast oder das Lollapalooza-Festival in Berlin nicht ohne Einschränkungen arbeiten, beim ‚Rock am Ring‘ fiel minutenlang das Mikrofon eines Headliners aus und in der Westregion nahe Frankreich sind Open-Air-Festivals mangels Frequenzen ganz ausgeschlossen.“
Auch die „Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben“ (BOS) möchten das Frequenzband von 470 und 694 MHz in Krisensituationen nutzen, um die Bevölkerung mit lebensrettenden Informationen flächendeckend zu versorgen. Dafür soll bundesweit ein neues Mobilfunknetz aufgebaut werden – in „ko-primärer“ Nutzung.
Die Kritik aus Sicht des Forum Veranstaltungswirtschaft: Dieses Netz ist im Aufbau sehr aufwändig, in Folgekosten und Genehmigungsproblemen unkalkulierbar und in Material- und Personalaufwand nicht darstellbar. Seriöse Schätzungen gehen allein für den flächendeckenden Aufbau dieses Netzes von Kosten in Höhe von circa 55 Milliarden Euro aus, wissend, dass Personal und Material dafür derzeit nicht zur Verfügung stehen.
Die juristischen Herausforderungen der Genehmigungsverfahren und die erwartbaren Bevölkerungswiderstände gegen den Aufbau eines solchen neuen Mobilfunknetzes sind gewaltig. Vergleichbar sind Diskussionen um 5G, dessen Sendeanlagen jeweils einen Genehmigungsvorlauf von durchschnittlich 14 Monaten haben. Das Mobilfunknetz ist – anders als die terrestrischen Sendeanlagen des Rundfunks – bei Stromausfall und Katastrophen anfällig, was beim Hochwasser im Ahrtal offenkundig wurde. Und die Bevölkerung hat noch keine Endgeräte, um dieses fünfte Netz überhaupt empfangen zu können.
Hinzu kommt: Funk kennt keine Ländergrenzen, und so wäre dieses neue Mobilfunknetz als eine deutsche Insellösung überhaupt nur in einem kleinen Gebiet um Kassel verlässlich und nutzbar. Rund 20 europäische Nachbarländer strahlen mit ihrem Funk nach Deutschland ein. Für alle anderen Regionen Deutschlands müssten bilaterale Vereinbarungen mit den europäischen Nachbarn geschlossen werden.
Eine solche europäische Harmonisierung ist jedoch unwahrscheinlich, weil die bestehenden und geplanten Rundfunknutzungen der Nachbarländer weithin Bestandsschutz auch über 2030 hinaus haben und Russland, Ukraine und Belarus das Band gerade militärisch nutzen.
Nachbarländer wie zum Beispiel Spanien, Frankreich, Italien oder Großbritannien haben einen pragmatischen Weg gewählt, denselben Ansprüchen an Katastrophenschutz und öffentlicher Sicherheit zu begegnen, die es auch in Deutschland gibt. In diesen Ländern greift ein gesetzlich verankerter Vorrang der BOS-Dienste im Katastrophenfall oder im Fall erhöhter Sicherheitsanforderungen. Diese Dienste übernehmen dann die erforderlichen und ansonsten von anderen genutzten Frequenzen. Daneben besteht noch – wie in Deutschland auch – das störungsfreie und gegen Stromausfälle abgesicherte Rundfunk-Netz.
„Wir halten diese Lösung für die günstigste und praktikabelste, zumal sie sofort umsetzbar ist und keine Folgekosten nach sich zieht“, so Johannes Everke vom Forum Veranstaltungswirtschaft.